Die digitale Transformation im industriellen Umfeld stützt sich auf vier Säulen: Big Data, Automatisierung, Breitband-Vernetzung, digitaler Kundenzugang. Nur wer sich die damit einhergehenden neuen Technologien zu eigen macht, kann neue Geschäftsmodelle und attraktiven unternehmerischen Mehrwert generieren. Die Anforderung: zukunftsorientierte Unternehmen müssen offen sein für intelligente Maschinen und Künstliche Intelligenz – und sie als Zuträger für die menschliche Intelligenz nutzen.
Definition: Künstliche Intelligenz (KI) wird nicht programmiert, sondern beruht auf Training aus der Erfahrung heraus. Anders gesagt: KI steht für die Automatisierung intelligenten Problemlösungsverhaltens. Mittlerweile sind Algorithmen verfügbar, die das menschliche Gehirn als Vorlage haben, aber rund 25.000mal schneller sind. Das macht es in Theorie machbar, eine KI in nur wenigen Sekunden auf den gewünschten Wissensstand zu heben.
Das praktischer Sicht ist diese Erklärung hilfreich: Künstliche Intelligenz ist die Eigenschaft eines IT-Systems, „menschenähnliche“, intelligente Verhaltensweisen zu zeigen. Dazu sind in unterschiedlichen Anteilen bestimmte Kernfähigkeiten notwendig: Wahrnehmen, Verstehen, Handeln und Lernen. Diese vier Kernfähigkeiten stellen die größtmögliche Vereinfachung eines Modells zur modernen KI dar: Wahrnehmen – Verstehen – Handeln erweitern das Grundprinzip aller EDV-Systeme: Eingabe – Verarbeitung – Ausgabe. Das wirklich Neue ist das Lernen und Verstehen.
Einsatz von KI in Cognitive Computing
Künstliche Intelligenz ist in der Lage, selbstständig Muster zu identifizieren, sich in Eigenregie zu korrigieren und die Organisation der Arbeit selbstinitiiert zu verbessern. Folgende kognitive Technologien sind die hauptsächlichen „Kooperationspartner“ von KI:
Machine Learning (maschinelles Lernen) befähigt Computersysteme, ihre Leistung eigenständig durch gezielte Sichtung und Analyse von Daten zu optimieren, ohne dabei explizit programmierten Anweisungen folgen zu müssen. Der Ansatz: Anhand von Mustern werden Assoziationen und Erkenntnisse aus Daten identifiziert, und aus Erfahrung wird gelernt. Machine Learning ist nahtlos mit KI gekoppelt; die kritische Masse an Daten, die maschinelles Lernen für sein effizientes Arbeiten braucht, wird etwa durch das Internet of Things (IoT) generiert.
Deep Learning, ein Forschungsbereich in Nachbarschaft des maschinellen Lernens, setzt auf vielschichtige, künstliche neuronale Netzwerke. Die biologischen Abläufe von menschlichem Denken und Lernen – Aktivierung von Neuronen, chemische Veränderung von Synapsen und weiteres – werden in Software oder Hardware adaptiert bzw. transponiert. Der Anspruch von Deep Learning ist es, die Limitierungen der Maschinenfähigkeiten aufzuheben – mit dem Ziel, Objekte und Gesichter zu erkennen und Sprache zu verstehen und zu generieren.
Predictive Analytics oder prädiktive Analyse ist ein Verfahren, das unter Nutzung von Datenmodellen Prognosen generiert und obendrein Handlungsempfehlungen ausspricht, um die Wahrscheinlichkeit der Bewahrheitung von vorhergesagten Ereignissen zu beeinflussen.
Automatische Spracherkennung erleichtert schon heute die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine, ist aber noch ausbaufähig. Die Fähigkeit, menschliche Sprache automatisch und akkurat zu erkennen und transkribieren, ist bereits gegeben, doch Sprache überträgt auch Stimmungen und Subtexte, die intelligente Technologie heute noch nicht erkennt.
KI muss Mehrwert fürs Unternehmen schaffen
Künstliche Intelligenz eröffnet Unternehmen vielversprechende Optionen zur Optimierung des eigenen Geschäfts. KI hat das Zeug, komplette Branchen neu zu ordnen, muss aber auch zahlreiche Herausforderungen meistern. Die wichtigste Frage lautet: Welche Voraussetzungen muss KI erfüllen, um einen Mehrwert für Unternehmen zu schaffen? Intelligente Algorithmen allein sind zu wenig. KI muss im menschlichen Kontext wirken – nur so lassen sich Entscheidungen im Unternehmen auf einem viel höheren Niveau als bislang vorbereiten, prüfen und realisieren.
In der Fertigung, der Verwaltung oder im Finanzwesen werden bereits seit längerem automatisierte Verfahren eingesetzt – und zwar in Form von Robotic Process Automation (RPA). Der Unterschied zu KI: Die Abläufe werden von einer Software lediglich gesteuert; sie können hochkomplex sein, laufen jedoch immer gleich ab. Was hier fehlt – aber auch nicht benötigt wird – ist das intelligente Moment.
Künstliche Intelligenz braucht menschliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz soll nicht nur Abläufe im Unternehmen effizient steuern oder verwalten. Ihre Aufgabe soll es auch sein, Entscheidungen eines Tages schneller, präziser und zuverlässiger zu treffen als der Mensch – so formuliert es die Analysten- und Consulting-Firmengruppe Deloitte. Doch bis dahin sei es noch ein weiter Weg. Denn intelligente Maschinen müssen sich auf den Menschen einstellen können, um ihre Vorzüge ausspielen zu können und dabei laut Deloitte vor allem diese Kriterien erfüllen:
- Maschinen müssen die individuellen Bedürfnisse ihrer Nutzer in der jeweiligen Situation kennen.
- Es muss klar sein, wann der Mensch die Kontrolle von der Maschine übernehmen muss.
- Maschinen müssen Feedback-Schleifen vermeiden. Dieses Phänomen schleicht sich ein, wenn Maschinen nur das finden, was sie aufgrund der zuvor verarbeiteten Daten erwarten – und nicht das, was wirklich passiert.
Maschinen verfügen bereits heute über weitreichende analytische Fähigkeiten und sind in der Lage, mit deren Hilfe hochkomplexe Entscheidungen zu fällen. Doch das dafür verwendete explizite Wissen reicht nicht in jedem Fall, damit diese Entscheidungen von Menschen auch als richtig empfunden werden. Denn Menschen lassen neben der Logik auch implizites Wissen in ihre Entscheidungen einfließen – also Intuition. Intelligente Maschinen können Intuition heute nur durch die Auswertung riesiger Datenmengen nachahmen und auf Probleme anwenden, die immer in ähnlicher Weise auftreten, beispielsweise bei der Rechnungsprüfung.
Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Kontext von ERP
Ein erfolgskritischer Faktor für das Gelingen eines KI-Projekts – besonders beim maschinellen Lernen – sind die Qualität und die Anzahl der Datensätze für das Training der KI. Dabei kann das Modell immer nur so gut sein, wie der Input an „sauberen“ Daten, mit dem es angelernt wird.
In der Regel sind im Enterprise Resource Planning (ERP)-Kontext aber viel weniger Datensätze (Kunden, Aufträge, Planungsperioden, Artikel etc.) zum Anlernen einer KI verfügbar, als bei klassischen Big Data-Szenarien – etwa Sensoren-Logs von Maschinen für Predictive Maintenance. Deshalb kommt der Datenaufbereitung eine enorm wichtige Rolle zu. Da die Entstehung des Modells selbst für den „KI-Entwickler“ wie eine Blackbox, also nicht transparent ist, bleiben solche Verfälschungen unbemerkt.
Einem mittelständischen Maschinenbauer mit nur 100 Kunden wird es daher wahrscheinlich recht schwerfallen, mit seinem Datenbestand eine KI für eine verlässliche Absatzprognose zu trainieren. Dies mag einer der Gründe sein, warum es zum Beispiel bei der Optimierung der Disposition mit KI bisher kaum Praxisbeispiele gibt.
Es wird aber intensiv weiter geforscht, um das Lernen mit „Small Data“ weiter zu verbessern und auch mit weniger Datensätzen bald bessere Ergebnisse erzielen zu können – und etwa auch robuster in Bezug auf Ausreißer zu sein. Der Lernprozess einer KI soll dabei dem menschlichen Lernen mehr und mehr nachempfunden werden.
Beispiel: dynamische Parametrierung in der Disposition
Die Produktionsplanung und -Steuerung ist das Herzstück von ERP-Systemen in produzierenden Unternehmen. Die Ermittlung von Materialbedarfsterminen, Erstellung von Bestellvorschlägen, Planung von Kapazitäten und viele weitere Funktionen basieren auf Algorithmen, die auf korrekt eingestellte Dispositionsparameter angewiesen sind, um wirklichen Mehrwert zu bringen.
Die Vielzahl von Dispositionsparametern in aktuellen ERP-Systemen kann von einzelnen Personen nicht überblickt werden. Daher enthalten die Systeme in der Regel Methoden zur automatischen Ermittlung und Optimierung von Dispositionsparametern. Die Optimierung der Dispositionsparameter erfolgt in mehr oder weniger großen Zeitabständen, basiert in der Regel auf der statistischen Analyse historischer Daten (z. B. durch die Berechnung gleitender Mittelwerte) und
vernachlässigt die aktuellen Randbedingungen im Unternehmen. Entsprechend falsch sind in aller Regel die Planungsergebnisse.
KI schafft an dieser Stelle Abhilfe in Form einer situationsbezogenen, realitätsnahen Prognose wichtiger Dispositionskenngröße. So stellt etwa die Durchlaufzeit einen ganz zentralen Dispositionsparameter im Rahmen der Eigenfertigungsplanung und -steuerung dar. Sie ist für jeden Eigenfertigungsartikel in dessen Stammdaten hinterlegt. Im Rahmen der MRP-Läufe (Material Requirement Planning) wird unter Verwendung der Durchlaufzeit der Artikel sowohl deren Nettobedarf bestimmt, als auch die Terminierung der Fertigungsaufträge durchgeführt.
Mittels KI lässt sich hier in der Form der Regression die Durchlaufzeit auf der Basis einer Vielzahl von Eingangsdaten kontinuierlich vorhersagen. Inputdaten, die dabei berücksichtigt werden können, sind beispielsweise:
- Auslastung der Produktion (Schichtpläne, Personalsituation, Krankheitswellen, Maschinenverfügbarkeit)
- Vertriebsdaten (Absatzzahlen, Veränderung der Absatzzahlen, …)
- Materialverfügbarkeit (Performance der Lieferanten, aktuelle Qualitätsdaten, …)
Das Ergebnis ist eine situationsabhängige Einstellung der Durchlaufzeiten für jeden Artikel, die der realen Situation entspricht und zukünftiges Systemverhalten berücksichtigt. Die Planungsqualität wird somit insgesamt positiv beeinflusst.
Die notwendigen Eingabedaten sind heute bereits in den Datenbanken vieler ERP-Systeme vorhanden, sodass lediglich eine Verknüpfung der Daten über Modelle des maschinellen Lernens umgesetzt werden muss. Geeignete Algorithmen sind hier zum Beispiel sogenannte Regression Trees.
Durch den Einsatz von KI in der Parameter-Optimierung werden die Folgen von Planungsfehlern entlang des Auftragsabwicklungsprozesses reduziert. Die bessere Vorhersage der Durchlaufzeit steht in einem direkten Verhältnis zur effizienten Ressourcen-Nutzung im Unternehmen. Sie ermöglicht reduzierte Umlaufbestände und eine größere Liefertreue. Letzteres hilft im Vertrieb und erhöht gleichzeitig die Kundenzufriedenheit.